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Blumen, so groß wie Riesinnen, so schön wie Sonnen,

Kulturmagazin Berlin | 01.08.2012

Das neue Ärztehaus an den Treptowers in irritierend floraler Kunst-am-Bau-Inszenierung

Von Petra Hornung

Das Ärztehaus an den Treptowers, schon zu DDR-Zeiten als Betriebspoliklinik genutzt, ist ein denkmalgeschütztes Gebäude, das um 1880 erbaut wurde. Anzusehen war dem mehrstöckigem Haus bislang weder der einstige historische Glanz, noch ein ihm angediehener Schutz.

Schlicht, schmucklos trüb und sichtbar in die Jahre gekommen funktionierte es eben im Schatten der markanten Allianz-Tower. Jedenfalls nicht unbedingt der Ort, von dem man vermutet, dass ausgerechnet hier alle Blütenträume reifen, zudem noch in den Himmel wachsen könnten. Und doch, sie werden es tun, in eindeutig stilisierter, freundlicher Heilkräuter-Gestalt. Vielleicht temporär, vielleicht für immer und voraussichtlich schon im September dieses Jahres und so, wie es die Welt noch nicht – und schon gar nicht die Treptow-Köpenicker Welt – je gesehen haben.

Wachgeküsst aus dem unschönen Dornröschenschlaf von der spark::ling AG-Immobilien Projektentwicklung. Das klingt eher ernüchternd als märchenhaft. Aber das hat seine Bewandtnis: Ein junges, gleichsam gewachsenes, erfahrenes Team, das absolut stringent zusammenarbeitet mit allen wichtigen Fachleuten – Banken, Kommunikationsleuten etc. – und die Zeichen der Zeit fürs erste und eindeutig marktwirtschaftlich erkennt.

Im Grunde liegt diese Gewerbeimmobilie ja ideal. Angrenzend drei Stadtbezirke, gut frequentiert, verkehrsgünstig, weit und breit keine Konkurrenz, erst recht nicht nach der Realisierung eines wohldurchdachten Konzeptes, das die behutsame, optimale, zeitgemäße Sanierung des gesamten Projektes, innen und außen, nach allen Regeln des Metiers und von der Akquise an in eigener, professioneller Hand hat.

Soweit, so gut, gäbe es nicht jene Passion, die mit Vehemenz und offensichtlich mit Herzblut auf ein „Darüber hinaus“ setzt: ausgerechnet auf KUNST! Dies in einer Zeit, in der nicht selten Experten und Kulturverwalter gerade die Kunst nicht mehr als Pflichtaufgabe anzusehen brauchen, sondern ihr bestenfalls eine freiwillige Leistung von „Staats wegen“ zugestehen, die in unguten Zeiten, wie den unsrigen, das zum Sahnehäubchen Degradierte als erstbesten Verzicht deklarieren.

Kann es denn wahr sein, dass sich eine Immobiliengesellschaft jene Offenheit gegenüber außergewöhnlichen, freien Lösungen vorbehält und die auch will und die auch finanziert? Und damit Erfolg hat, der allen gut tut? Die Kontur der Sinnlichkeit, des Besonderen, des höchst Individuellen ergibt sich nicht einfach so. Bewusst suchte das Unternehmen mit Sergej Dott einen Künstler aus, dessen Werke im Zusammenhang von Gebäuden eine enorme ästhetische Prägnanz haben, die aufgrund ihrer Formqualität, ihrer statischen Machbarkeit, aber besonders durch die Kraft der Dimension, Komposition und Platzierung, unglaubliche Wirkung zeitigen: Irritation, Verblüffung, Freude oder Ablehnung – auf jeden Fall erregte Reaktionen.

Wie schön, dass es auch ohne künstlerisches oder historisches Vorwissen ein intuitives, instinktives Gespür dafür gibt, welche Perlen der Fantasie, des Glücks, der Freude am Surrealen oder einfach am Ungewöhnlichen sich dahinter versteckt halten. Die eigene Verzauberung, der verzauberte Ort, Kindheit scheint auf, die Lust zum Träumen, die lebenswichtige Fähigkeit zum Genuss.

Über die Dott’schen „Rosenköpfe“ am Potsdamer Platz kann man mit Fug und Recht ebenso entzückt wie befremdet sein. Spätestens aber dann, wenn man zum Beispiel jener nun fast schon berühmten Fassade am Kollwitzplatz angesichtig wurde, dort, wo die Kühe leichten Herzens und leichten Hufes die Fassade empor laufen (so wie andernorts Fische, Krähen, Zentauren, Schutzengel), ist die Faszination groß. Bunt oder fein nuanciert wird unsere Wahrnehmung durcheinandergebracht, ist der schaurig-schöne Schreck bis heute präsent. Eine Erfolgsgeschichte.

Keine Frage, man möchte so was Originelles um sich haben. Wenn es um Lebensqualität geht, geht es eh nie ohne Kunst, ohne Kultur. So eng oder weit auch das Ganze zu fassen ist, hat es doch in erster Linie mit unseren Sinnen und Empfindungen zu tun. Dieses innovative Unternehmen hält es wohl mit Oscar Wilde, der sinngemäß sagte: „Nur oberflächliche Menschen urteilen nicht nach dem äußeren Schein. Das Geheimnis der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare.“ Und sie wird sichtbar sein, diese „Alice-im-Wunderland-Heilpflanzenchoreografie“ an der Fassade des Ärztezentrums.

Die Geister werden sich zunächst daran scheiden: Dem Einen zu nett, dem Anderen zu abstrakt, dem Nächsten vielleicht zu monströs. Auf jeden Fall wird es ein großes Erstaunen geben, ein Entzücken; ein dauerhaftes Event, das Treptow ein schönes Identitätszeichen beschert.

Bereits 2011 gab es in den Hallen der Arena Treptow eine Vorpremiere von Kunst-am-Bau-Projekten der spark::ling AG, bei der die im Dunkeln dezent leuchtenden Fragmente des Riesenblumenprojektes zum eigens dafür komponierten Werk von Alun Fancis präsentiert wurden. Die Resonanz war natürlich eindeutig positiv. Ebenso zustimmend war das Urteil der Kommission „Kunst am Bau“, der dieses Projekt im Juli vorgestellt wurde. Umso erfreulicher, dass es das Ansinnen gibt, in Zukunft mit der Kommission „Kunst am Bau“ unseres Bezirkes zusammenzuarbeiten, um eine noch facettenreichere Auswahl der Kunst, die so vielfältig ist wie das Leben selbst, auf ihre Tauglichkeit für Fassaden oder Innenleben zu prüfen.

Wie schön, dass sich das eigene düstere Weltbild, wonach allein das Geld die Welt regiert, so positiv erschüttern lässt. Erhalten wir uns die Illusion und die Gewissheit, dass Kunst ein Lebensmittel der besondersten Art ist, ernst oder heiter, zauberhaft leicht oder abgründig schwer, verspielt oder streng komponiert… Auf jeden Fall ist nach einem Wort von Schiller „alle Kunst der Freude gewidmet“, und wenn es die Freude am eigenen Erkennen ist. Die Aussichten sehen gut aus, zumindest für den Moment, zumindest für das neue Ärztehaus an den Treptowers. Freuen wir uns darauf.